Mirrors 123Mirrors Indigo-Records 1009 CD
Suite für Orchester und Jazzcombo

Solo-Saxophon: Claudius Valk
Solo-Trompete: Christian Winninghoff
Bariton-Saxophon:  David Stahl
Klavier: Stephan Becker
Bass:  Stefan Rey
Schlagzeug:  Thomas Esch


Flöte: Friederike Sasse, Marion Schmitz; Oboe: Michael Taglinger, Laura Totenhagen; Klarinette: Florian Tambour, Konstantin Werner; Fagott: Joachim Graf, Helena Haase; Altsaxophon: Doreen Schulte-Lusch; Tenorsaxophon: Magdalena Sasse;
Violine 1: Zuzana Leharova, Christine Jakobs, Anna Kurbanow, Roman Estl, Mechthild Pfingstmann; Violine 2: Angelika Grunenberg, Elena Sonntag, Susanne Skiba, Lara Bäuml; Bratsche: Yvonne Bastian, Bettina Sattler, Monika Estl, Uta Führer; Cello: Ulrike Zavelberg, Martin Fischer, Jochen Schmitz; Kontrabass: Thomas Heyn


1. When Shall We Three Meet Again? (Violence And Love)
2. Mirrors
3. Oberon (Waldsommernachtsleuchten)
4. Ophelia´s Dream
5. Star-Crossed Lovers (D. Ellington/M. Petzold)
6. Sonnet To The Dark Lady (für Saxophonquartett)

Aufgenommen am 29. September 2012 von Andi Reisner
Covergestaltung: Keanu Sapadi, Matthias Petzold; Fotos: Kilian Petzold


                  When Shall We Three Meet Again

                   Mirrors

                   Oberon

                    Ophelia´s Dream



Über die Musik
“Mit „Mirrors“ präsentierte der Brühler Saxophonist und Jazz-Komponist Matthias Petzold am 28. September 2012 sein drittes  Projekt für große Besetzungen, nach den „Psalmen und Lobgesängen“ für Chor und Jazz-Ensemble und „Pangäa“ für Bigband. “Mirrors” ist eine Suite für Sinfonieorchester und Jazzcombo mit drei Solisten, Trompete, Tenor- und Baritonsaxophon. Die Kompositionen beziehen sich auf Motive aus Theaterstücken und Gedichten von William Shakespeare und entwickeln von da aus ein Labyrinth von Bewegungen, Spiegelungen, Klangfarben, von gewalttätigen und zarten Stimmungen.

 
Pressestimmen

[...] Die sehr straffen und komplexen Kompositionen, die eine geradezu verschwenderische Ideenfülle verarbeiten, treiben das musikalische Geschehen in einer geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit voran, nur die Combo-Improvisationen, die quasi die Reflektionsebene der Kompositio-nen bilden, gönnen dem Hörer die Gelegenheit zum innehalten, um das Vergangene verarbeiten zu können. [...]
Am Ende dieses wohl anspruchsvollsten und wohl auch sperrigsten Werks Petzolds belohnt ein Leckerbissen die Konzentration des Hörens: Ein Saxophonquartettsatz, der ein Sonett von Shakespeare verarbeitet und an dem auch Petzold instrumental beteiligt ist. Mit seiner Intimität und lyrischen Introvertiertheit bildet er ein fast schon einschmeichelndes Gegenstück zum expressiven Furor der Orchestersuite.

Jazzpodium 5/13


Spiegelbilder aus Shakespeare Charakteren - Uraufführung der Suite Mirrors
[...] Ungeschützt brach sich eine urgewaltige Kraft den Weg .. Die alles niederdrückende Last agressiven Stimmenwirrwarrs ließ zunächst keinen Raum für Sensibilität. Der Machtklampf zerrte die Violinen zwischen Seufzer und Donner hin und her, kurzzeitig versucht das Klavier (Stephan Becker), Besinnung durchzusetzen, scheitert aber am dominanten “Macbeth”-Vorbild. Schließlich schafft es am Ende ein Blues, den Kampf aufzulösen [...]   Matthias Petzold richtete den Solisten der Jazzcombo Zeit und Raum ein, wo sie ihre Soli  breitflächig vortragen konnten. Das gesamte Orchester überzeugte durch konzentriertes Ensemblespiel, nuancierte Tempo- und Lautstärke-wechsel und einem guten Gefühl für den richtigen Zeitpunkt. “Mirrors” darf auf jeden Fall für sich beanspruchen, einen gangbaren Weg in der Kategorie “Symphonic Jazz” eingeschlagen zu haben. 

Jazzpodium 11/2012 über die Uraufführung



Mirrors
Ein paar Anmerkungen zu den Kompositionen
Der Text entstammt dem Programmheft zur Uraufführung der Suite am 28. September 2012

Die Suite „Mirrors“ hat durch die Betitelung der Einzelstücke und durch den dramaturgische Aufbau der Musik einen literarischen Subtext: Bis auf einen Teil beziehen sich alle Stücke auf Charaktere oder Theaterstücke von William Shakespeare.

Man könnte nun die Frage stellen, ob so eine Vorgehensweise überhaupt sinnvoll ist, ob man der Musik so nicht ihre Eigenständigkeit raubt, und, etwas schärfer, sogar ob der Komponist durch so eine Form der Verknüpfung nicht einen billigen Versuch unternimmt, seine Musik aufzuwerten indem er einen berühmten Namen daran klebt.

Zunächst einmal: selbstverständlich kann man die „Mirrors“-Suite auch als reine Musik hören. Da ich keine Programmmusik geschrieben habe, die Verknüpfung zu Shakespeare also nicht in einer musikalischen Abbildung der Theaterstücke besteht, muss man die literarischen Verbindungen nicht unbedingt kennen. Jeder könnte also an dieser Stelle den Text beruhigt weglegen und sich auf die Musik konzentrieren.

Trotzdem ist es aber so, dass die Kenntnis der Art und Weise, wie ich als Komponist auf die Vorlagen reagiert habe, eine weitere Dimension der Kompositionen erschließt, die auch für den Zuhörer interessant ist. Diese zusätzliche Dimension hat den Kompositionsvorgang maßgeblich mit beeinflusst. Die weiteren Ausführungen laden also dazu ein, diese Seite der Stücke kennen zu lernen.


Oberon
Oberon ist das erste Stück der Suite, das ich komponiert habe, auch wenn es in der Abfolge der Suite nun an dritter Stelle steht. Als ich es schrieb, hatte ich noch überhaupt nicht die Absicht, ein längeres Werk zu schreiben. Ich wollte die Orchester-Besetzung ausprobieren und in den Sommerferien des Jahres 2003, in denen wir wegen Umzugs nicht verreisen konnten, neben dem Renovieren etwas machen, was mir Spaß machte. Der Titel kam erst während des Komponierens: der außerordentlich heiße Sommer, der mit viel Anwesenheit am See und im Wald verbunden war (mit Glühwürmchen!) erinnerte mich an die Atmosphäre von Shakespeares „Sommernachtstraum“ und hier vor allem an die Gestalt des Elfenfürsten Oberon, der so zur titelgebenden Figur wurde.


When Shall We Three Meet Again? (Violence And Love)
Erst nachdem sich durch eine provisorische Aufführung von “Oberon” durch das Collegium Musicum der Musikschule Brühl herausgestellt hatte, dass meine Art, für das Orchester zu schreiben, überhaupt funktionierte, beschloss ich, das Projekt auszudehnen und weiterzuverfolgen. In diesem Zusammenhang entstand die Idee, die Anknüpfung an Shakespeare als roten Faden zu nehmen. Ich hatte vor Jahren mal „Macbeth“ im Theater gesehen und war beeindruckt von der Konsequenz der Gewalt und der düsteren Grundstimmung des Stückes. Anfang des Jahres 2005 schien mir das ein geeignetes Vehikel, um die Nachrichten von Krieg und Gewalt aus aller Welt zu reflektieren.

Ich schrieb die Eingangssequenz (jetzt der Beginn des Konzertes) als Wiederspiegelung von Aggression und Gewalt in einer Weise, wie ich bisher nicht komponiert hatte. Danach stellte ich fest, dass ich so weder weiterkom-ponieren konnte noch wollte. Die Gewalt des Anfangs verlangte für mich nach einem Gegengewicht, das dann durch den bruchartig angefügten langsamen Blues hergestellt wurde. Im weiteren Verlauf des Stückes stehen beide Ebenen nebeneinander und verbinden sich motivisch immer weiter, ein Vorgang, den ich gar nicht geplant hatte, sondern der sich im Verlauf der Arbeit von selbst ergab.

Das gesamte Stück ist also nicht als Schilderung der „Macbeth“-Tragödie zu hören, sondern als kompositorische Auseinandersetzung mit der durch das Theaterstück gegeben Thematik. Die Quintessenz könnte sein, dass Aggression und Sanftheit zwei Seiten der selben Medaille sind. Wenn es gelingt, die Aggression sinnvoll in den Gesamtzusammenhang einzubinden, bleibt ihre positive Eigenschaft bestehen: die Energie.



Mirrors
Dem Stück „Mirrors“, das danach komponiert wurde und in der Konzert-reihenfolge an zweiter Stelle steht, liegt als einzigem kein literarische Motiv zugrunde. Der Spiegel war für mich ein Sinnbild von Shakespeares Welt, in der Dinge oft anders sind als sie scheinen und in der die Menschen in einer flüchtigen und von Täuschungen erfüllten Welt umherirren. Die Kompositionsweise mit Fugen-Einsätzen, polyphonen Stimmführungen, Spiegelungen von Motiven und dynamischen Kontrasten greift Gestaltungsmittel der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts auf, ohne sie allerdings klanglich dabei zu imitieren.


Ophelia´s Dream
„Ophelia´s Dream” ist die zweite Säule der gesamten Suite, die zweite Auseinandersetzung mit zerstörerischen Prozessen. Ophelia ist in „Hamlet“ die Geliebte von Hamlet. Er liebt sie zwar aufrichtig und möchte sie auch heiraten. Da er aber zu schwach und zu feige ist, seinem Stiefvater, der seinen Vater ermordet hart, offen entgegenzutreten, inszeniert Hamlet eine Intrige. Als Teil der Intrige verstößt er auch Ophelia. Obwohl er das aus seiner Sicht nur zum Schein tut, zerbricht sie daran, wird wahnsinnig und tötet sich schließlich.

Die Komposition arbeitet mit spitzen Klängen, chromatisch verschobenen Akkorden und zerfasernden Strukturen. Am Kulminationspunkt der Zerstörungen kippt die Stimmung: hinter der dunklen Wand geht es doch weiter. Das Thema des Anfangs wird harmonisch und klanglich neu gedeutet. Es verliert seine Zwiespältigkeit und Schwere und klingt leicht und hell. Auch hier geht es also wieder nicht nur um die Abbildung von Destruktion, sondern um eine Form der Bewältigung durch Kreativität.



Star-Crossed Lovers
Der letzte Satz der Suite ist eine von mir arrangierte und erweiterte Komposition von Duke Ellington, die er als Auftragskomposition  für ein Shakespeare-Festival in Kanada geschrieben hat. Das titelgebende Theaterstück ist natürlich „Romeo und Julia“. Ellington blendet in seiner unerschütterlichen Freundlichkeit (die den Bassisten Charles Mingus dazu veranlasste, eine seiner Kompositionen „Duke Ellington´s Sound of Love“ zu nennen) die tragische und gewalttätige Komponente des Theaterstücks völlig aus. „Star-Crossed Lovers“ ist eine ruhig und sonor dahinströmende Hymne auf die Liebe, die alles überwindet. Als solche ist das Stück sowohl eine Verbeugung meinerseits vor einem der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts als auch der denkbar passendste Abschluss für die gesamte Suite.


Sonnet To The Dark Lady
Das Stück “Sonet To The Dark Lady” gehört, obwohl für eine vollständig andere Besetzung geschrieben, zum selben Kompositionenkreis wie die Orchesterstücke. Während die dramatischen Werke Shakespeares ihre Verarbeitung in Stücken für Sinfonieorchester und Jazz-Combo gefunden haben war für die flüchtigeren Sonette die kleinere Besetzung des Saxophonquartetts angemessen.

In den 154 Sonetten, die Shakespeare innerhalb von 4 Jahren an eine unbekannte Geliebte (die „Dark Lady“) und an einen Freund schrieb, spiegeln sich alle Facetten der Liebe in ungezügelten, manchmal übertrieben erscheinenden Emotionen wieder: Glück, Verzweiflung, Eifersucht, Sehnsucht, Selbsthass, Bewunderung, Distanz. Ich habe versucht, das musikalisch in drei Themen umzusetzen: einem ruhigen und selbstsicheren, einem fröhlich bewegten und einem gedämpft melancholischen. Diese drei werden vorgestellt, vermischen sich, brechen ab, flammen wieder neu auf und verschwinden schließlich.



Matthias Petzold, September 2012



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Saxophon 002

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