Was ist eigentlich Laienspiritualität?

In einem Diskussionsforum im Internet, wo die Umgangsformen ja etwas lockerer und die Formulierungen etwas schärfer sind als gewöhnlich, wurde mir einmal entgegengehalten, der OFS, also die franiskanische Laiengemeinschaft,  bestände aus “Klosterwanzen und Möchtegernmönchen”. Im Kern soll der Vorwurf wohl bedeuten, dass im OFS keine überzeugende Form christlichen Glaubens gelebt wird. Demnach bestände die Gemeinschaft aus Menschen, die lediglich passiv und konsumierend von der Spiritualität des ersten Ordens leben (“Klosterwanzen”), oder die in ihrem christlichen Lebensentwurf viel zu schnell stecken geblieben sind und das durch die Beschäftigung mit klerikalen Äußerlichkeiten überdecken möchten (“Möchtegernmönche”).

Aufgrund meiner eigenen jahrelangen Erfahrungen mit vielen Menschen im OFS weiß ich natürlich, dass der Vorwurf mit der Realität nicht viel zu tun hat. Trotzdem wirft er natürlich Fragen auf: Was bedeutet es eigentlich, als Laie die franziskanische Spiritualität zu leben? Was für ein Lebensentwurf und welche innere Haltung stehen dahinter? Welchen Sinn haben Begriffe wie “Berufung” oder “Versprechen” in diesem Zusammenhang? Wie kann man das Verhältnis von erstem und drittem Orden deuten? Zunächst einmal ist sicher folgendes wichtig: Die Mitglieder des OFS sind Laien und sonst nichts. (Es gibt zwar auch einige Gemeindepriester und Diakone im OFS, diese verstehen sich aber ausdrücklich nicht als Ordensgeistliche). Das wurde in der Geschichte der franziskanischen Laienbewegung durchaus schon einmal anders gesehen, ist aber für unsere Existenzform von zentraler Bedeutung. Es bedeutet nämlich: franziskanische Laien bekleiden in der Kirche kein Amt, sie haben keine wie auch immer geartete Vorrangstellung. Sie wirken nur durch ihre Person und durch ihr Leben.

Eine zweite Feststellung ist genauso wichtig: durch unsere Lebensweise in Beruf und Familie ist es den meisten von uns nicht möglich, eine theologische Bildung zu erwerben oder ein regelmäßiges Gebetsleben zu führen, das im Umfang dem von Ordensleuten entspricht. So wichtig eine lebenslange Weiterbildung und vor allem das Gebet auch für die Mitglieder des OFS sind, liegt der Kern unserer Berufung doch woanders. Die eigentliche Besonderheit unserer Lebensweise liegt darin, dass wir unsere Berufung “in der Welt” leben. Wir stehen als ganz normale Menschen im direkten und unverstellten Kontakt mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, Ãœberzeugung, Persönlichkeit und sozialer Stellung. Genau hier sollen wir die Werte des Evangeliums leben: Solidarität mit den Schwächeren, Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Lebensmut. Genau hier, in diesem alltäglichen Bereich, muss sich auch erweisen, dass diese evangelischen Werte keine naive Schönfärberei sind, sondern Richtlinien, nach denen man sein Leben sinnvoll und fruchtbringend gestalten kann.

Jeder, der diesen Weg schon einmal gegangen ist, weiß, wieviele persönliche Schwierigkeiten dabei entstehen, wieviel Geduld und Bescheidenheit er erfordert. Es ist nicht leicht, wirklich auf Vorteile und Privilegien zu verzichten, auf Angriffe nicht mit Abwehr und Agressionen zu reagieren, vor allem dann, wenn man sich im Recht fühlt. Es ist nicht leicht, für diejenigen einzutreten, die (am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder in der Familie) an den Rand gedrängt und übersehen werden. Es ist nicht leicht, tolerant zu sein gegenüber Weltbildern und Werten, die man für falsch hält, und dabei aber trotzdem ruhig und sachlich die eigene Überzeugung zu vertreten.

Eine weitere Aufgabe liegt darin, aktiv und kreativ die Bereiche zu gestalten, die in unserer Verantwortung liegen. Es geht darum, gewaltgeprägte Verhältnisse zu verändern, gerechte Strukturen aufzubauen, die Ziele und Prozesse in unserer Arbeitwelt auf ihre Menschlichkeit hin zu befragen, unseren Kindern Entfaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, alten und kranken Menschen in unserem Leben einen Platz zu geben. D.h. es geht darum, aus franziskanischer Sicht an dem mitzuarbeiten, was Papst Johannes Paul II die “Zivilisation der Liebe” genannt hat. Dabei ist Ideenreichtum und Beharrlichkeit notwendig, und natürlich auch immer wieder das gemeinschaftliche und persönliche Gebet. Wir müssen, um es mit einem Wort der Befreiungstheologie zu sagen, “mit einem Bein auf der Bibel und mit dem anderen auf der Zeitung stehen”.

Wenn diese Lebensweise ernst genommen wird, ist sie keine “Berufung zweiter Klasse”, sozusagen zum Hobby-Franziskanertum, sondern sie steht der ursprünglichen Intention des heiligen Franz genauso nahe, wie die Berufung zum klösterlichen Leben im ersten Orden. Denn genau das war es, was Franz wollte: einfach an der Seite der Menschen, vor allem der Armen, leben, das Evangelium nicht so sehr durch Worte, sondern durch ein überzeugendes Leben verkündigen, Strukturen des Hasses ersetzen durch Strukturen der Liebe. Dadurch, dass der erste Orden schon im Mittelalter eine Entwicklung weg von der Laienbrüdergemeinschaft hin zu einer klösterlichen Gemeinschaft franziskanischer Kleriker genommen hat, sind beide Ordenszweige sozusagen aufeinander hingeordnet. Der erste Orden hat das immer wieder erkannt, und die Verbindung zu den Laien auch in Krisen des dritten Ordens nie aufgegeben.

Die gelebte Gemeinschaft innerhalb des OFS, die regelmäßigen Treffen, die organisatorische Arbeit in den Vorständen, die gemeinsamen Aktionen; all das hat sein Ziel nicht in sich selbst, sondern darin, uns für unsere eigentlichen Aufgaben zu stärken, die in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Pfarrgemeinde und in der Nachbarschaft zu finden sind. In diesem Sinne ist auch das Versprechen zu sehen: es ist nicht nur das Versprechen, lebenslang zu einer bestimmten Gruppe zu gehören, sondern es geht um den schwierigen und abenteuerlichen Weg, ein ganzes Leben lang franziskanische Werte in den eigenen Alltag zu übersetzen, die Armen in unserer Lebenswelt zu finden und ihnen beizustehen, Christus in unserem Alltag zu finden und ihm nachzufolgen.

(Siehe auch ”OFS” und “Geschichte der franziskanischen Laienbewegung “)

Matthias Petzold, März 2003


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Laienspiritualität